Foto: Saskia-Marjanna Schulz
Tasso:
O welches Wort spricht
meine Fürstin aus!
Die goldne Zeit wohin
ist sie geflohn?
Nach der sich jedes
Herz vergebens sehnt!
Da auf der freien Erde
Menschen sich
Wie frohe Herden im
Genuß verbreiteten;
Da ein uralter Baum
auf bunter Wiese
Dem Hirten und der
Hirtin Schatten gab,
Und jüngeres Gebüsch
die zarten Zweige
Um sehnsuchtsvolle
Liebe traulich schlang;
Wo klar und still auf
immer reinem Sande
Der weiche Fluß die
Nymphe sanft umfing;
Wo in dem Grase die
gescheuchte Schlange
Unschädlich sich
verlor, der kühne Faun
Vom tapfern Jüngling
bald bestraft entfloh;
Wo jeder Vogel in der
freien Luft
Und jedes Tier, durch
Berg und Täler schweifend
Zum Menschen sprach:
Erlaubt ist was gefällt.
Prinzessin:
Mein Freund, die
goldne Zeit ist wohl vorbei:
Allein die Guten
bringen sie zurück;
Und soll ich dir
gestehen wie ich denke,
Die goldne Zeit, womit
der Dichter uns
Zu schmeicheln pflegt,
die schöne Zeit, sie war,
So scheint es mir, so
wenig als sie ist,
Und war sie je, so war
sie nur gewiß,
Wie sie uns immer
wieder werden kann.
Noch treffen sich
verwandte Herzen an
Und teilen den Genuß
der schönen Welt;
Nur in dem Wahlspruch
ändert sich, mein Freund,
Ein einzig Wort:
Erlaubt ist was sich ziemt.
Johann Wolfgang von
Goethe
(1749 - 1832),
deutscher Dichter und Staatsmann
Quelle: Goethe, Torquato Tasso, 1807. 2. Akt, 1. Auftritt
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